Der große Patentstreit: Samsung gibt zurückgewiesenes Beweismaterial an die Presse

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Im US-Bundesstaat Kalifornien hat der größte Patentstreit-Prozess im Mobilfunksektor begonnen, den es bisher je gegeben hat. Es geht um Schadenersatzforderungen in Höhe von 2,5 Milliarden USD, eine große Zahl spezieller Smartphones und Tablets, sowie um die allgemeine Frage nach der Möglichkeit, gewisse Patentmuster schützen zu können oder nicht. Für die gesamte Branche könnte dieser Prozess zum Wendepunkt werden, denn weit mehr als das Schicksal von Apple und Samsung hängen davon ab: Gewinnt Apple diesen Prozess in allen Punkten und kann damit die Rechte auf alle auch nur iPhone-ähnlichen Smartphones und sämtliche iPad-ähnliche Tablets für sich verbuchen, bekäme der US-Konzern eine bisher nie da gewesene Marktmacht. Zu Recht?

Diese Frage versucht nun ein US-Gericht unter Vorsitz der uns schon bekannten Richterin Lucy Koh zu klären. Richterin Koh ist für ihren nicht gerade zimperlichen Umgang mit den Mobilfunkkonzernen aus früheren Prozessen bekannt, zudem scheint sie der durch Richter William Alsup mitbegründeten Rechtsauffassung zu folgen, nach der nicht jede Ähnlichkeit gleich eine effektive Patentrechtsverletzung darstellt und die Unternehmen einen stärkeren Aspekt auf Fairplay zu legen hätten. Auch der US-Richter Posner gehört zu dieser Strömung innerhalb der US-Justiz: Er ließ einen Prozess zwischen Apple und Motorola um vermeintliche Patentrechtsverletzungen sogar garnicht erst zu, da keine der beiden Parteien in der Lage war, ihm triftige Beweise für eine Schädigung der Gegenseite zu präsentieren.

Es wird vermutet, dass Lucy Koh in ihrem neuen Prozess eine ähnliche Linie fahren wird, doch ist die Situation hier eine etwas andere: Es geht nicht nur um ein bestimmtes Produkt, es geht um die Grundlage und die Durchsetzbarkeit von amerikanischem Patentrecht. Der Prozess verlangt nicht nur die Entscheidung, ob gewisse Samsung-Modelle das iPhone kopiert haben, sondern der Fall ist weit diffizieler gelagert: Wann ist eine Entwicklung durch ein Patent zu schützen? Inwieweit ist eine Ähnlichkeit zu akzeptieren, wenn es sich nicht um eine 1:1 Kopie handelt? Hat Apple tatsächlich die behaupteten Verletzungen erlitten? Sind die Patente des US-Konzerns zu Recht gewährt worden oder schmückt sich Apple mit fremden Federn?

Grade an der letzten Frage scheiden sich die Geister - und der Umgang von Richterin Koh mit einigen Beweisen von Seiten Samsungs erhitzt nicht nur die Gemüter der beklagten Partei, sondern lässt auch zumindest neutrale Beobachter das US-amerikanische Rechtssystem hinterfragen: Samsung hatte Beweise vorgelegt, die belegen sollen, dass Samsung als auch Sony bereits vor der Entwicklung des ersten iPhones ähnliche Modelle besaßen, die dann tatsächlich Apple kopiert haben soll. Zudem legte Samsung Beweise vor, nach denen ein Designer bei Apple dazu aufgefordert worden sei, Sony direkt zu kopieren. Diese Beweise ließ Richterin Koh jedoch nicht zu.

Zweifelsohne sind manche Beweise nicht aussagekräftig genug oder auch schlichtweg nicht prozessrelevant und können so vom Verfahren ausgeschlossen werden. Wieso es allerdings in diesem Fall so gekommen ist, scheint zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick ersichtlich. Das hat auch ein Verantwortlicher bei Samsung ähnlich bewertet und die nicht zugelassenen Beweise mit einem Statement versehen der Presse zugespielt. Dieser Schritt stellt nicht nur das Unverständnis auf seiten der Beklagten dar, sondern untergräbt zudem die Autorität des Gerichtes. Ob in diesem Fall eine Fehlentscheidung seitens der Richterin getroffen wurde, hätte im Zweifel ein Berufungsgericht entscheiden müssen - und nicht ein Mitarbeiter von Samsung. Berechtigterweise ist Lucy Koh erbost über diesen Vorfall und verlangt von Samsung die Information zu erhalten, wer für diesen Vorgang verantwortlich ist.

Welche Informationen hat Samsung genau an die Presse gegeben? Dabei handelt es sich um zwei Präsentationsfolien, die zum einen Samsung-Smartphone-Entwürfe vor Entwicklung und Einführung des iPhones zeigen und zum anderen einen Teil der Aussage der ehemaligen Apple-Designers Shin Nishibori. In dieser Aussage heißt es, wie oben bereits erwähnt, Nishiboris Kollege Jonathan Ive hätte ihn aufgefordert, ein Gerät zu entwickeln, das aussehen sollte, als wenn Sony ein iPhone entwickeln würde. Der zitierte Designer will im neuen Prozess nicht aussagen. In der Stellungnahme Samsungs an die Presse heißt es: “Der Ausschluss von Beweisen für eine unabhängige Entwicklung bedeutet, dass Apple gegenüber der Jury argumentieren darf, das Samsung F700 sei eine iPhone-Kopie. Samsung darf den Geschworenen nicht die ganze Geschichte erzählen und Designs zeigen, die 2006 vor dem iPhone bei Samsung entwickelt wurden. Die ausgeschlossenen Beweise hätten zweifelsfrei gezeigt, dass Samsung das iPhone-Design nicht kopiert hat. Das Gebot der Fairness verlangt, dass die Jury den Fall anhand aller Beweise entscheidet.

Apples Anwalt hatte Richterin Koh im Zuge des Verfahrens auf die Veröffentlichung und das Statement Samsungs aufmerksam gemacht. Hierdurch ist es nun möglich, dass die Geschworenen ihr Urteil nicht allein aufgrund der zugelassenen Beweise fällen, sondern die abgewiesenen Details mit in ihre Urteilsfindung einbeziehen. [Anm. d. Redaktion: Ob man ein solch unmündiges Konglomerat von Menschen über Wohl und Wehe entscheiden lassen sollte? Ist ein Geschworenen-Gericht im 21. Jahrhundert überhaupt noch zeitgemäß?! Diese Frage ist jedoch wohl leider zu grundlegend für einen derartigen Prozess.] Wir werden für euch die weitere Entwicklung des Verfahrens verfolgen und uns um eine sachliche als auch bisweilen objektiv-kritische Berichterstattung bemühen.

Samsung-Logo.jpgsamsung_slide.jpgsam.jpg

[OFFURL="https://www.android-hilfe.de/samsung-allgemein/164433-der-samsung-vs-apple-patent-geschmacksmusterkrieg-sammelthread-87.html#post3794582"]Diskussion zum Beitrag[/OFFURL]
(Im Forum "Samsung Allgemein")

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Quellen: Samsung angers judge by sending rejected evidence from Apple trial to the media | The Verge
Streit mit Apple: Samsung macht vom Gericht abgelehnte Beweise öffentlich | ZDNet.de
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