Zeitgeschehen: Verändern wir unsere Kommunikation - Oder verändert sie stattdessen uns?

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don_giovanni

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Wie manche von euch sicherlich wissen, schreibe ich nun bereits seit über vier Jahren hier die News für euch. Es dürften wohl an die 6.000 Texte sein, die in diesem Zeitraum den News-Bereich bevölkert und für euch die unterschiedlichsten Themenkomplexe aufgegriffen haben. Heute möchte ich mich derweil einmal mit einer Thematik beschäftigen, die im Alltagsgeschäft doch eher etwas stiefmütterlich behandelt wird: Unserem Umgang mit dem Thema (mobile) Kommunikation - und wie sich dieser doch in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Ich erhebe dabei jetzt keinesfalls den Anspruch, mein Standpunkt zum Zeitgeschehen sei vollkommen rational und entbehre jeglicher subjektiver Sichtweise; stattdessen möchte ich mit euch meine Erfahrungen teilen und am Ende dann von euch hören, ob ihr manche Dinge nicht auch selbst so erlebt hat. Ich bin mir sicher, es finden sich so manche Parallelen, die auffällig sein dürften.

Für mich begann das Thema Internet ein bisschen später, als für manche meiner Altersgenossen, da ich bis zu meinem 21. Lebensjahr das „Privileg“ hatte, mitten in der Pampa zu wohnen. Genauer gesagt, in der Bauernschaft Raestrup bei Telgte im tiefsten Westfalen. Entsprechend lernte ich den Zugang zum World Wide Web erst einmal über ein 56K-Modem kennen, das bei seiner Einwahl immer lustige Geräusche machte und den Zugang des normalen Festnetztelefons blockierte: Kam ein Anruf, flog man aus dem Netz, telefonierte jemand, konnte man sich nicht einwählen. Kommt dem ein oder anderen von euch eine solche Situation bekannt vor?! Als viele meiner Freunde in der „Stadt“, in Telgte, schon mit DSL-Geschwindigkeit Surfen konnten, gab es bei mir Zuhause nach wie vor nur ein Modem, das (meiner Erinnerung nach) auch erst kurz vor meinem Auszug aus dem Elternhaus durch eine leistungsfähigere Neuerung ersetzt wurde.

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Foto: usr.com

Zum Ende meiner Schulzeit (Abitur 2007) kommunizierte man derweil über die Kanäle ICQ oder über StudiVZ. Ob Student oder nicht - jeder war tendenziell eher bei StudiVZ angemeldet, als bei meinVZ - dem Pendant für „andere“ Erwachsene. Da sich im Jahr 2007 das Thema „Internet auf dem Mobiltelefon“ noch mehrheitlich auf das Senden und Empfangen von Emails beschränkte, wurde vornehmlich über einen stationären PC kommuniziert. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass ich zu dieser Zeit langsam begann, mich „abgeschnitten“ von der Außenwelt zu fühlen, wenn ich einen Tag lang nicht an einen Computer kam. Denn über das Internet begann man zu dieser Zeit, seine Freundschaften und sonstige Kontakte zu pflegen. Der stationäre PC war gegen Ende der 2000er-Jahre also das, was wir heute problemlos in unserer Hosentasche mit uns herumtragen können - unser Fenster zur Welt, unser wichtigstes Kommunikationsmedium.

Dieses Fenster öffnete sich durch die technischen Neuerungen von Apple und Google in den darauffolgenden Jahren sehr viel weiter, als mit dem ersten iPhone und mit den ersten Android-Smartphones das mobile Internet und die vereinfachte Kommunikation ihren wirklichen Siegeszug antraten. Zwar war man im Jahr 2009 oder 2010 mit einem Android-Smartphone noch ein absoluter Exot (ich hatte zu diesem Zeitpunk übrigens noch ein Samsung I7110 Pilot mit Symbian-Betriebssystem), doch das sollte sich bekanntlich in den kommenden Jahren immer mehr wandeln. Kurz bevor die neuen Mobiltelefone mit modernen Touchscreens ihrerseits die urtümlichen „Handys“ abgelöst haben, kam ja noch kurzzeitig die Ära der Klapphandys, die ich für meinen Teil in den Jahren 2009-2011 besonders intensiv mitbekommen habe. Wie war das bei euch?

Ab 2011 habe ich in meinem Umfeld dann immer mehr Mobiltelefone mit Touchscreen wahrgenommen und stieß auch irgendwann auf das Wort „Android“, was für mich bislang eher eine Bezeichnung für ein nicht-menschliches Wesen auf Basis eines Computers im Star Trek-Universum gewesen war. Zu dieser Zeit habe ich selbst dann ganz intensiv den Wechsel der allermeisten Menschen weg von der Kommunikations-Plattform StudiVZ hin zum US-amerikanischen Facebook wahrgenommen - von dem sich, außer Mark Zuckerberg, wohl zum damaligen Zeitpunkt noch niemand hat träumen lassen, dass das Netzwerk einmal über eine Milliarde Nutzer haben würde.

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Foto: facebook.com

Doch außer der Bezeichnung des Dienstes, hatte sich zumindest für mich und mein Umfeld noch nicht viel durch den Switch zu Facebook verändert: Wir kommunizierten während der ersten Semester des Studiums entweder per SMS oder eben per Nachricht über Facebook. Und tatsächlich dauerte es bei mir und auch bei vielen meiner Freunde noch bis Anfang 2012, bis wir uns von der Kommunikation am PC hin zu einem ersten „echten“ Smartphone entwickelt haben. Wann war denn euer erstes Smartphone dran?! Und erst an dieser Stelle begann für mich persönlich dann eine echte Veränderung in meinem Kommunikationsverhalten - denn ich konnte meine Nachrichten von Facebook ganz easy vom Telefon aus schreiben und war nicht mehr darauf angewiesen, irgendwo an einem Rechner zu hocken. Freiheit!

Wenig später begann ich dann ja auch (passend zum Mobile World Congress 2012), hier in einen schnelleren Alltag eingestiegen, ohne es jedoch so recht zu merken.

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Foto: archos.com

An dieser Schnittstelle in der Entwicklung der mobilen Gesellschaft, habe ich mich erstmals bewusst entschieden, einen neuen Trend nicht mitzumachen: WhatsApp. Dieses neue Kommunikationsmedium, das in den 2010er-Jahren langsam aber sicher zur Mitteilungszentrale für jetzt (2016) über eine Milliarde Menschen geworden ist, stellte für mich persönlich nur einen weiteren Kommunikationskanal dar, auf dem man erreichbar sein wollte. Oder sollte. Wie auch immer. Mit dem Erstarken von WhatsApp habe ich für mich selbst erstmals das Gefühl entwickelt, dass mobile Kommunikation nicht mehr nur Freiheit bedeuten kann, sondern auch Zwang: Den Zwang, immer parat zu sein, den Zwang, auf gelesene Nachrichten sofort zu antworten, weil ja dem Gegenüber angezeigt wird, dass man seine Mitteilung bereits gelesen hat (konnte Facebook ja auch um den Dreh irgendwann). Und manch ungeduldiger Zeitgenosse schickte dann auch schnell mal noch eine zweite Nachricht hinterher, wenn dann nicht prompt die gewünschte Antwort kam. So etwas wollte ich für mich selbst nicht haben. Und mit dieser Entscheidung bin ich bis heute sehr zufrieden.

Durch meine Tätigkeit hier im Forum und auch sonst in meinem privaten Umfeld, habe ich mir immer wieder Feedback zum Thema Erreichbarkeit im Allgemeinen und auch zu WhatsApp im Speziellen geholt. Die Aussagen waren fast immer die gleichen: „Alle meine Freunde haben WhatsApp, ich brauch das, um nicht ausgeschlossen zu werden“, „In meiner Familie haben alle anderen auch WhatsApp,“ „Wir bereiten unseren Junggesellinnen-Abschied in einer WhatsApp-Gruppe vor“, …. und so weiter und so fort. Kennen das einige von euch?! Ich möchte an dieser Stelle jetzt nicht behaupten, dass die vorgebrachten Argumente keine vernünftigen Gründe darstellen, das wäre sicherlich vermessen. Auf der anderen Seite ist aber nicht (nur) WhatsApp ein Problem in Bezug auf die ständige mobile Erreichbarkeit: Viele Zeitgenossen bekommen auch bei jedem Kommentar und jedem Like bei Facebook eine Benachrichtigung auf ihr Smartphone, die dann zusätzlich zum Andrang bei WhatsApp noch aufläuft. Kein Wunder also, dass man a) irgendwann Zeitnot bekommt und b) viele Menschen selbst auf der Arbeit ihre Daddelkiste nicht mehr aus der Hand legen, obwohl dies in aller Regel nicht das eigentliche Ziel ihrer Erwerbstätigkeit sein dürfte.

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Foto: betanews.com

Doch wir wollen eben erreichbar sein! Wir wollen alles mitbekommen. Immer! Jetzt! Warum ist das so? Wieso ist dieses Bewusstsein so entstanden, was hat uns auf diesen Weg gebracht?! Wenn ich mir den technischen Werdegang so anschaue, den mein Umfeld und ich seit der Einführung des Internets genommen haben, dann kann ich mir dieses veränderte Verhalten nur damit erklären, dass hier das Kommunikationsbedürfnis über den gesunden Menschenverstand obsiegt. Das mag jetzt ein wenig hart klingen, aber denkt einmal bitte kurz darüber nach: Niemand kann immer erreichbar sein, niemand kann immer alles wissen, niemand kann immer sofort über jede Veränderung auf dieser großen weiten Welt informiert sein. Natürlich können wir das versuchen - die Versuchsteilnehmer sehe ich jedes Mal, wenn ich mit der KVB (Straßen- und U-Bahn in Köln) unterwegs bin. Selbst junge Mütter mit ihren kleinen Babies im Kinderwagen hängen nur am Smartphone und daddeln, Grundschulkinder schreiben x Nachrichten am Stück via WhatsApp, normale Angestellte scrollen die ganze Bahnfahrt lang ihren Twitter- oder Facebook-Newsfeed durch. Man könnte ja etwas verpassen, worüber die anderen nachher reden!

Selbstverständlich ist unsere weltweit vernetzte Gesellschaft auch durch die verbesserte Kommunikation so gut informiert und so globalisiert geworden, dass heute Neuigkeiten binnen Sekunden von China nach Kanada und von Südafrika nach Russland übermittelt werden können. Dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden - es ist ein großer Vorteil für Journalisten, Händler, Banker und die Logistik-Branche. Kurz gesagt: Für Leute, die einen wirklichen Wert aus dieser schnelleren und einfacheren Kommunikation ziehen. Aber welchen echten Wert zieht Person X daraus, wenn sie noch vor dem Frühstück ihren News-Feed bei Facebook durchscrollt, bei Twitter erfährt, dass ein bekannter Musiker gestorben ist oder bei WhatsApp liest, dass eine der Brautjungfern wegen Grippe ausfällt? Richtig: Es hat gar keinen echten Wert, wenn Person X das alles „sofort“ erfährt - der News-Feed ist auch nach dem Frühstück immer noch da, der Musiker ist immer noch tot und die Brautjungfer ist immer noch krank. Doch das Frühstück hat garantiert besser geschmeckt und man hat sich über sinnvollere Dinge Gedanken machen oder mit seinem Gegenüber austauschen können.

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Foto: savory.de

Nennt mich von mir aus pragmatisch oder unterstellt mir, dass ich mich weigere, die Außenwelt zu sehr in meine Privatsphäre eindringen zu lassen. Mit beidem hättet derweil ihr absolut Recht. Aber durch ein bisschen mehr Privatsphäre und ein bisschen weniger Erreichbarkeit, kann man viel mehr bekommen, was echten Sinn hat: Entspannung, Gelassenheit, echte Freizeit - und auf der anderen Seite dann Konzentriertheit auf die Belange der Gesellschaft (oder der mobilen Technik), wenn es darauf ankommt. Stellt euch nur einmal vor, wie es wäre, wenn ihr euch wirklich nur um die Dinge Gedanken machen würdet, die gerade in diesem Moment wichtig sind: Wenn man am Essenstisch mit der Familie sitzt, dann ist die Familie wichtig - und nur die! Ob dann gerade in China das neue Xiaomi vorgestellt wird, ist sch***eigal, das Teil wird auch in einer halben Stunde noch da sein. Man bekommt keinen Preis dafür, wenn man die Specs als Erster kennt. Aber man kann auf der anderen Seite denjenigen Menschen, die einem nahe stehen, beweisen, dass sie einem wichtig sind. Und das tut man am besten, indem man ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Jeder von euch, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, wird wissen, dass man die nicht erlebte gemeinsame Zeit nicht mehr nachholen kann.

Damit möchte ich sagen: Sprecht wieder mehr miteinander! Nicht nur mit Freunden, auch mit Fremden. Fremde können bekanntlich Freunde sein, die man nur noch nicht kennengelernt hat. Eine aufmerksame und freundliche Zugewandtheit macht den Umgang miteinander so viel leichter, als wenn man die Kassiererin im REWE nicht einmal mehr grüßt, weil man lieber mit einer entfernten Freundin Katzenbilder bei WhatsApp hin und her schickt. Zweifelsohne ist das Smartphone ein wichtiges Kommunikationsmittel, das will euch auch niemand wegnehmen. Aber bitte lasst euch nicht von ihm beherrschen! Keiner bezahlt euch diese ständige Erreichbarkeit, sofern ihr nicht bei einem Spezialeinsatzkommando seid oder der Chefarzt einer Unfallchirurgie. Es gibt zudem auch genug Gerichtsurteile, dass auch eure Chefs euch in der vertraglich vereinbarten Freizeit nicht erreichen können müssen. Das wird manch ein Chef sicher nicht lustig finden - aber ganz ehrlich: Wer eine Leistung außerhalb der vereinbarten Pflichten haben will, der soll sie auch bezahlen. Oder die Klappe halten.

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Foto: newlovetimes.com

Ich wünsche allen von euch, die diesen Artikel wirklich bis zum Ende gelesen haben, dass dieser Text ihnen vielleicht einen kleinen Denkanstoß gibt, das eigene Nutzungsverhalten mit dem Smartphone mal ein wenig kritisch zu reflektieren. Und wenn nur ein paar unserer Leser hier als Konsequenz daraus ihr alltägliches Leben ein bisschen stressfreier und entspannter gestalten können, dann hat sich die Zeit, die ich hierfür investiert habe, schon gelohnt.

Diskussion zum Beitrag
(im Forum "Plauderecke")

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Quellen:
Android-Hilfe.de
 
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